Predigt zum Aussendungsgottesdienst am 4. August 2019
von Christoph Jahnel
Liebe Gemeinde,
unsere Welt ist kleiner geworden, wir sind näher aneinander gerückt, es wird enger. Vielleicht ist der schnelle Klick auf Google Earth das treffende Symbol für unsere Welt als global village, als globales Dorf. Früher brauchten Nachrichten und Waren Wochen und Monate, um von einem Erdteil zum anderen zu gelangen. Heute ist man in einem halben Tag in Lateinamerika oder Ostafrika. Noch schneller rasen die Nachrichten um den Globus. In wenigen Minuten erfahre ich von wichtigen Ereignissen in Hongkong oder Dar es Salaam.
Und nicht zuletzt schaffen die in den Industrieländern erzeugten Umweltprobleme sehr schnell ihren Weg in andere Länder. Wir alle kennen die Bilder von Plastik-vermüllten Stränden im Indischen Ozean oder die Berichte von den kleinen Atollen im Pazifik, die jetzt schon im Meer versinken.
Ja, auch wenn die Welt immer mehr zusammenrückt, gibt es doch zur gleichen Zeit Leben in ganz unterschiedlichen Welten: Es gibt Menschen, die nach unserem Dafürhalten noch wie im Mittelalter leben: Mit Ochsen ziehen sie den Pflug über das Feld, sie haben kein elektrisches Licht oder irgendeine ärztliche Versorgung. Und es gibt das beschleunigte Leben der modernen Neuzeit: Heute Shanghai, morgen New York und dann zurück nach München. Zur gleichen Zeit leben Menschen in extremer Armut und in extremem Reichtum. Zur gleichen Zeit profitieren die einen von den Vorteilen technologischen Fortschritts in Medizin und Mobilität, während andere nichts davon haben.
Was bedeutet es, liebe Gemeinde, wenn wir in so einem Umfeld als Gemeinden und Prodekanat eine Partnerschaft pflegen zu evangelisch-lutherischen Gemeinden in Tansania in der Konde-Diözese?
Martin Junge, der Generalsekretär des Lutherischen Weltbundes, hat im Zuge des Reformationsjubiläums 2017 den Satz formuliert: „Die Reformation ist heute Weltbürgerin geworden.“ Und er meint damit: Mehr als 800 Millionen Menschen rund um die Welt verbindet und bewegt evangelisch-lutherischer Glaube und Frömmigkeit. Allerdings hat sich das Zentrum verschoben. Lebten im Jahr 1910 ca. 80 % aller Christen weltweit in Europa und Nordamerika, waren es im Jahr 2010 nur noch knapp 40 %. Die Mehrheit der Christen und auch die Mehrheit der evangelischen Christen lebt in der südlichen Hemisphäre. Das Christentum ist heute mehr und mehr von Christen und Kirchen aus Afrika, Asien und Lateinamerika geprägt.
Es wird damit mehr und mehr zu einer nicht-westlichen Religion, wie sie es ja auch in seinen Anfängen war. Jesus ist nicht in Europa geboren. Erst Paulus hat auf seinen Missionsreisen die Grenze nach Europa überschritten und die Botschaft des Evangeliums hier bei uns verkündet.
Als evangelische Kirche in Bayern müssen wir also zur Kenntnis nehmen, dass die Mehrheit der mit uns durch die Reformation verbundenen Kirchen im Süden der Welt leben.
Damit stellt sich gleich die Frage, wie wir damit umgehen, dass das Gesicht reformatorischer Theologie und Kirche in anderen Teilen dieser Welt von unserer Vorstellung von dem, wie Kirche sein sollte und was Theologie lehren sollte, abweicht? Wir betrachten ja etliches in unseren Partnerkirchen als moralisch-engstirnig: Zum Beispiel der rigide Umgang und die Ausgrenzung von homosexuell lebenden Menschen in afrikanischen Kirchen stößt bei uns aufgeklärten deutschen Lutheranern auf wenig Verständnis. Mit der Attitüde der moralischen Überlegenheit werten wir auch schnell das traditionelle Rollenbild in afrikanischen Familien ab oder wir schütteln den Kopf über charismatische Bewegungen im Süden.
Die Kritik geht natürlich auch in die andere Richtung. Wir Europäer werden von vielen Christinnen und Christen des globalen Südens als zu liberal, viel zu wenig bibelfest oder als einfach zu lasch betrachtet.
Um aus diesem Dilemma und dem gegenseitigen Unverständnis herauszukommen, müssen wir uns als Menschen des Nordens und des Südens immer wieder begegnen. Nur wenn wir uns immer besser kennenlernen, wenn wir differenzierte Einsichten gewinnen in das kulturelle, politische und wirtschaftliche Leben in anderen Ländern, kann so etwas wie Verständigung stattfinden.
Deshalb bin ich sehr froh und dankbar für Menschen wie Sie alle aus unseren Partnerschafts- und Eine-Welt-Kreisen, die Sie sich für solche Verständigung einsetzen. Unsere Partnerschaften werden auf unterschiedlichen Ebenen gepflegt: Informationen gehen hin und her – wenn wir voneinander wissen, dann können wir uns besser verstehen und auch im Gebet aneinander denken. Gemeinsam beschlossene Projekte werden unterstützt, wie z. B. Projekte der Gesundheitsversorgung oder Ausbildung. Bildung ist enorm wichtig in Ländern, in denen viele junge Menschen leben. Und Reisen finden statt, wie nun in diesem Monat.
Sie werden bei dieser Begegnungsreise über sehr viele Themen sprechen. Auf Ebene des Lutherischen Weltbundes wurden in Zusammenarbeit mit den afrikanischen Kirchen drei zentrale Themen identifiziert, die in unserer Zusammenarbeit von Kirchen weltweit auf die Agenda müssen: „Creation not for Sale – Salvation not for Sale – Human Being not for Sale“. Also ein dreifaches Es-darf-keinen-Ausverkauf-Geben: Schöpfung – Erlösung – Mensch. Ganz konkret heißt das:
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Kein Ausverkauf der Schöpfung: Afrika ist der reichste, aber auch am stärksten ausgeplünderte Kontinent der Welt, ob es nun Seltene Erden, Elfenbein oder Landraub sind. Afrika ist wie der verbotene Baum im Garten Eden: Menschen aus allen Kontinenten und allen sozialen Schichten zeigen in Afrika, dass sie die Schöpfung nach wie vor besitzen wollen, um sie nach Belieben auszubeuten und zu gebrauchen. Gute Haushalterschaft und nachhaltiger Umgang mit den natürlichen Ressourcen ist de facto immer noch ein Fremdwort. Und wir hier im Norden haben durch unseren Hunger nach Energie und Ressourcen einen großen Anteil daran.
Allerdings: Das erfolgreiche Bienenvolksbegehren und die Fridays-for-Future-Demonstrationen zeigen, dass auch bei uns im Norden immer mehr Menschen sich gegen den Ausverkauf der Schöpfung einsetzen. Wir merken, dass wir unsere Lebensgrundlage verlieren. Die Auswirkungen des Klimawandels und die Ausbeutung der Natur potenzieren sich aber in Afrika. Wir lernen: In einer globalisierten Welt sind wir alle betroffen – vielleicht die einen früher und die anderen später: Aber es gibt keine Insel der Glückseligen mehr und wir alle stehen füreinander in der Verantwortung.
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Kein Ausverkauf der Erlösung: Religion wird in vielen Teilen der Welt kommerzialisiert, um die Erlösung in Jesus Christus zu Geld zu machen. Gott wird auf einen „Wohlstandsautomaten“ reduziert. Wenn Du nur genug bezahlst, dann wird es Dir gut gehen; solche Kampagnen von Pfingstkirchen und anderen Kirchen gibt es leider auch in Afrika. Segen wird wie eine Handelsware gehandelt. Da erinnert vieles an den Ablasshandel des 16. Jahrhunderts, den Martin Luther so intensiv bekämpft hat. Eine seiner wichtigen Erkenntnis war ja gerade: Heil kann ich mir nicht erwerben oder erkaufen, sondern mir nur im Glauben alleine durch die Gnade Gottes schenken lassen. Es lohnt sich als bayerische und tansanische Christen darüber miteinander ins Gespräch zu kommen.
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Kein Ausverkauf des Menschen: Ein riesiges Problem weltweit, und insbesondere auch in Afrika, ist das Problem des Menschenhandels. Betroffen sind ca. 29 Millionen Menschen pro Jahr, 90 % sind Frauen und Mädchen. Fast unbemerkt von der Weltöffentlichkeit erleben wir eine der schlimmsten neuen Formen von Sklaverei, die die Rede von der Abschaffung der Sklaverei ad absurdum führt. Diese und andere Formen des Verkaufs der Menschenwürde werden durch unsere bestehende Wirtschaftsordnung noch forciert.
So kann es nicht weitergehen. Evangelischer Glaube ist im Wesentlichen eine Befreiung: Befreiung vom Zwang, sich das Heil selbst verdienen zu müssen. Befreiung von übergeordneten Lehrautoritäten. Befreit als mündige Christinnen und Christen sich selbst ein Urteil zu bilden.
So kann es nicht weitergehen. Das empfinden viele Menschen auch heute angesichts der stets größer werdenden Kluft zwischen Arm und Reich, angesichts von Gewalt, ungeheuren Flüchtlingsströmen und Klimakatastrophen.
Für mich sind Partnerschaftsbegegnungen gelebte Zeichen der Hoffnung gegen die Hoffnungslosigkeit. Mit dieser Welt kann es nämlich sehr wohl anders weitergehen:
- wenn Kirchen und Gemeinden in Deutschland nicht nachlassen die weltweite Dimension unseres Glaubens im Auge zu behalten,
- wenn Sie nicht nachlassen, sich für eine gerechtere und solidarischere Wirtschaft und Lebensweise einzusetzen,
- und wenn wir offen bleiben für Anfragen und Impulse aus den Kirchen des Südens.
Ihre Reise, liebe Delegationsmitglieder, steht unter dem Motto: „Unser tägliches Brot gib uns heute.“ (Matthäusevangelium 6, 11) Diese Bitte aus dem Vaterunser spricht vieles an, was uns als Christinnen und Christen in Tansania und Deutschland miteinander verbindet:
Das Teilen von Brot spielt im Neuen Testament eine wichtige Rolle. Denn Jesus nahm die natürlichen Bedürfnisse der Menschen ernst: Er sättigte Tausende mit fünf Broten und zwei Fischen. Jesus wollte, dass jede und jeder zu Essen hat. Deshalb hat er uns ermutigt, für unser tägliches Brot, für unsere Grundnahrungsmittel zu bitten. Dazu gehört auch, dass wir die unterstützen, die zu wenig zu Essen haben und ihnen Nahrung geben.
Jesus war aber noch etwas anderes wichtig: Er hat gerne mit anderen Menschen zusammen gegessen. Denn das gemeinsame Essen und Trinken stiftet Gemeinschaft und vermittelt das Gefühl: Ich gehöre dazu! Deshalb ist es gut, wenn wir in unseren christlichen Gemeinden mit vielen Menschen zusammenkommen und mit ihnen das Essen teilen. So nehmen wir schon etwas vom Reich Gottes vorweg.
Als Christinnen und Christen teilen wir das Brot auch im Abendmahl. Wenn wir das tun, dann haben wir die Zusage, dass Christus mitten unter uns ist. Versammelt um den Tisch des Herrn sind wir als Brüder und Schwestern alle gleich. Es gibt keine Hierarchie aufgrund von Alter, Herkunft oder Geschlecht. Wir alle sind gleichberechtigte Glieder der Gemeinschaft Christi.
Und im Abendmahl erinnern wir uns an Jesus, der das Reich Gottes verkündete und in seinem Tun mutig und konsequent praktizierte. Er nahm dafür Leid und Tod in Kauf. Und doch war das nicht das Ende. Gott hat ihn auferweckt zu neuem Leben: Indem wir diesen Jesus in Leib und Brot in uns aufnehmen, teilen wir seinen Glauben an das Reich Gottes und wir teilen die Überzeugung, dass es in diesem Leben nicht nur um uns selbst geht, sondern um eine große weltweite Gemeinschaft. So ist die Partnerschaft unserer beiden Kirchen in der Kondediözese und im Münchner Westen mit hineingenommen in die weltweite Ökumene.
Ich wünsche Ihnen allen in diesen Wochen des Besuchs wunderbare Begegnungen, in denen Sie durch den Heiligen Geist inspiriert und geleitet werden. Ich wünsche Ihnen Momente, in denen Sie miteinander viel Lachen, und Zeiten, wo Sie Ihre Traurigkeiten und Nöte miteinander teilen können. Und ich wünsche Ihnen, dass das gemeinsame Brotbrechen Ihnen die Gewissheit schenkt, dass der dreieinige Gott sie segnet. – Amen